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Mangelnde Medienhygiene – also der gesunde, angemessene und sinnvolle Umgang mit Medien – war bei mir selbst als Heranwachsender auch ein großes Problem. Natürlich wusste ich sogar schon als Teenager, dass das ständige und stundenlange Zocken am Computer eigentlich nicht so unglaublich förderlich für meine Schullaufbahn ist. Getan habe ich es trotzdem. Weil es sich gut angefühlt hat, Erfolge in einer virtuellen Welt zu sammeln. Weil es Spaß machte. Weil die Spiele genau das angesprochen haben, was man als Heranwachsender sucht.
Aber es ist unvorstellbar, wie viel Zeit dabei verloren gegangen ist! Mir war zwar wie gesagt durchaus klar, was man sinnvolleres mit dieser Zeit hätte anstellen können – weitergespielt habe ich aber trotzdem.
Nichtsdestotrotz steckte darin ein nachhaltiger und achtsamer Lerneffekt: Heute als Erwachsener bleibt mein Handy frei von Spielen. Ich kaufe keine Spielekonsole. Ich fange gar nicht erst an, den Spaß an digitalen Spielen wieder zu entdecken. Ich schütze mich quasi selbst, die Erfahrungen der Vergangenheit zu wiederholen. Denn ich weiß, ich würde sehr exzessiv spielen…
Denn wenn ich damit erst mal beginnen würde, dann würde wieder exzessiv viel Zeit für Nichts verloren gehen. Aus der persönlichen Historie heraus weiß ich, dass ich nicht mal nur kurz etwas anspielen würde. Daher lade ich überhaupt kein Spiel mehr.
Und das ist nicht der einzige Kontext, warum ich ganz persönlich zu einem hoffentlich bewussten Handynutzer geworden bin. Ich will mich dabei nicht selbst loben. Ich will damit nur sagen, dass ich stellvertretend für eine Vielzahl an Heranwachsenden erst ganz schön viel Schmarrn mit Medien angestellt habe, bevor ich es besser wusste.
Jetzt hoffe ich natürlich, dass nicht jeder Schüler erst durch das Kennenlernen negativer Folgen erkennt, was sinnvoll und was nicht sinnvoll ist. Aber zu wissen, was man will, indem man weiß, was man nicht will, kann ein sehr erfolgreicher Weg sein.
Eine Abkürzung wollen wir Lehrer natürlich einerseits durch Medienkompetenz erreichen. Also mit allem, was im Medienkonzept aufgeführt ist, soll erreicht werden, dass unsere Kinder sinnvoller mir den Medien umgehen können. Und sinnvoller heißt eben auch hygienischer – also in einer Art der Nutzung, von der auch wir Erwachsene manchmal nur träumen können.
Und genau an dieser Stelle entwickelt sich gerade etwas in den Köpfen der Nutzer und Programmierer: So wie der Trend zum Sammeln von Fitnessdaten über diverse Tracker wie Armbanduhren und Handys geht (was eigentlich nichts anderes als ein erhobener Zeigefinger als Überwindungshilfe für den inneren Schweinehund für mehr Fitness ist) – genauso gibt es Apps, die die Nutzung des Gerätes beobachten. Was eigentlich nichts anderes als ein erhobener Zeigefinger als Überwindungshilfe für den inneren Schweinehund für weniger Handynutzung ist. Oder zumindest sein kann.
Als Grundschullehrer geht man gerne an ein Thema wie “Medien-Achtsamkeit” mit einer Art Medientagebuch heran. Um die Kinder aufschreiben und bewusst werden zu lassen, wie sie mit ihrem Gerät umgehen und was sie wie lange daran machen.
Ein Material der „Zeit“ hat dies aufs App bezogen auch im folgenden Arbeitsmaterial eingebaut:
Die Idee ist eine Tagebuchs ist ja per se nicht verkehrt, nur geht das in der heutigen Zeit viel exakter und unaufwändiger dank der erwähnten Medienhygiene-Apps.
Auf Apple beispielsweise ist das neuerdings sogar im Betriebssystem verankert und in den Systemeinstellungen aufrufbar:
Zwar kann man mit einer solchen App ausschließlich das Medium Handy oder Tablet in seiner Nutzung analysieren. Aber vielleicht ist das auch gar nicht das große Problem in einer Zeit, in der Fernsehen immer mehr auf mobilen Geräten geschieht. Und da Spielen bei Grundschülern ebenso vorwiegend auf den Smartphones oder Tablets stattfindet, können Spielekonsolen zunächst außer Acht gelassen werden. Für den Fall, dass eine übermäßige Nutzung von X-Box, PlayStation oder Wii stattfindet, ist das ohnehin eine neue Baustelle in der Achtsamkeitserziehung der Mediennutzung. Fürs Erste ist mit den allroundfähigen Smartphones einiges abgedeckt.
Je nachdem an welcher Schule du tätig bist, wirst du in unterschiedlichem Maße mit der Handynutzung durch die Kinder konfrontiert sein. An so genannten Brennpunktschulen kommen zum Teil schon Zweitklässler mit den neuesten Smartphones in die Schule spaziert oder haben sich auf dem Weg dahin eine neue Folge ihrer Lieblingssendung angesehen. In anderen Schulen wiederum erhalten die Kinder zum Ende der Grundschullaufbahn ihr erstes Handy, manche sogar noch später. Auf Elternabende verweise ich auch auf Seiten wie klicksafe, die einen Mediennutzungsvertrag für Eltern und Kinder erstellt haben:
Von diesen ganzen Umgebungsfaktoren hängt natürlich ab, welche Handys in welchem Alter im Umlauf sind und wie sie “von Haus aus” genutzt werden. Der richtige Zeitpunkt für ein Aufgreifen des Themas Medienhygiene im Unterricht ist also sehr unterschiedlich. Aber in dem Moment, in dem ich es wahrnehme, gehe ich in drei Schritten damit um:
In einer kurzen Gesprächsrunde frage ich neugierig bei den Kindern nach, wie sie ihre eigene Mediennutzungszeit einschätzen. Ein Thema, bei dem die Schüler sehr bereitwillig sind – sie freuen sich darüber, dass ihr Lehrer sich überhaupt dafür interessiert. Gleichzeitig sind sie in diesem Alter auch noch sehr offen im Umgang mit dem Thema, da sie kein Schamgefühl über eine mögliche “falsche” Nutzung besitzen. So entstehen interessante Einblicke in das alltägliche Leben der Kinder.
Im nächsten Schritt frage ich konkret nach, ob sie eine App haben, die ihre Bildschirmzeit checkt. Zur Veranschaulichung zeige ich ihnen die entsprechende Einstellung auf meinem persönlichen Handy. Dort ist sie als eine der ersten Funktionen in den Einstellungen zu finden. Gemeinsam mit den Kindern gehe ich dann exemplarisch auf meine eigene Mediennutzung ein. Ich zeige ihnen ganz konkret, wie die Nutzung meines Handys aussah – auch etwas, was den Kindern gefällt, auf diese Art mehr von ihrem Lehrer zu erfahren. Und sie damit neugierig für das Thema macht.
Zum Abschluss bitte ich die Kinder, die eine solche App haben oder durch mein Beispiel erst darauf aufmerksam gemacht worden sind, in einer Woche einen Screenshot ihrer Nutzung mitzubringen. Dies geschieht natürlich alles auf freiwilliger Basis und es ist auch von Vorteil, wenn die Eltern von diesem Vorhaben wissen (zum Beispiel als vorbereitende Erwähnung beim ersten Elternabend im Jahr). Und Mitbringen kann heißen: Mir ein Foto per Mail oder Bluetooth schicken oder das Handy selbst dabei zu haben – alles andere verkompliziert die Sache eher.
Natürlich werden nicht alle Kinder einen Screenshot von ihrer Mediennutzung dabei haben. Aber wenn es vier oder fünf sind, dann ist das schon genug Stoff für eine Menge an Vergleichsmöglichkeiten und Gesprächsanlässe. Natürlich auch hier wieder mit Einverständnis der Schüler und einem behutsamen Umgang mit sensiblen Informationen. Es geht nicht darum, jemand bloß zu stellen. Es geht darum, eine Achtsamkeit der Handynutzung zu schaffen.
Konkrete Themen des Unterrichtsgesprächs oder vorbereitend in einer Gruppe könnten sein: Was ist die meistgenutzte App? Warum? Wie lange warst du im Internet? Welche Seiten besuchst du dort am längsten? Wie hoch ist der Anteil an Messenger wie WhatsApp? Wird gemailt? Welche Apps oder Internetseiten tauchen noch so auf? Wie viel Zeit verbringst du am Handy an einem Tag? Wie oft nimmst du es in die Hand?
Spannende Fragen mit vielfältigen Antworten und einem hohen Wiedererkennungswert bei fast allen Schülern der Klasse!
Im letzten Schritt definiere ich mit den Kindern gemeinsam Werte. Ich könnte sie auch vorbildhaft vorgeben. Ich weiß ja auch, welche es sein könnten. Aber soweit wie möglich lasse ich sie von den Kindern kommen.
Denn eine zeitliche Überbeanspruchung wird den Kindern selbst relativ schnell klar. Und für mich selbst klingeln die Alarmglocken, wenn das Handy mehr als eine Stunde am Tag für nichtschulische Dinge genutzt wird. Das ist eine Grenze, die einen guten Richtwert darstellt, aber auch dehnbar ist, wenn die Eltern auch das abendliche Schauen einer Lieblingssendung auf dem Handy oder Tablet gestatten. Doch mehr als 90 Minuten sind in keinem Fall eine gesunde Option für einen Grundschüler.
Ein mit den Schülern definiertes Ziel kann also sein: Das was ich am Handy machen möchte, mache ich am Tag in insgesamt einer Stunde.
Ein Tipp für meine Kinder ist dabei diese Stunde am Stück einzusetzen, dann ist es leichter überschaubar. Ich zeige Ihnen auch, wie sie in den Einstellungen freiwillig einstellen könnten, das die Gesamtnutzung des Handys oder die Nutzung einzelner Apps zeitlich limitiert werden kann.
Viele Kinder probieren das tatsächlich aus. Nicht einmal, weil sie unbedingt achtsamer werden wollen. Sondern weil sie es eher als Challenge verstehen, unterhalb der eingestellten Zeit zu bleiben. Und das ist eben auch ein Weg, auf dem Achtsamkeit entstehen kann.
Ein anderes definiertes Ziel lautete einmal: Fortnite will ich maximal 40 Minuten am Tag spielen. Oder: WhatsApp soll mir ein Signal geben, wenn ich es länger als zehn Minuten am Stück nutze.
Ich habe den Kindern keinerlei Versprechungen abverlangt, wenn sie die gemeinsam definierten Werte nicht erreicht haben. Es gab keine Sanktionen oder böse Worte. Es ging einzig und allein darum, das Empfinden dafür zu schaffen. Und zwar so frühzeitig wie möglich. Deswegen sind wir auch immer wieder mal im Laufe des Jahres auf dieses Thema zurückgekommen. Vor allem zum Ende der Jahrgangsstufe noch einmal ausführlicher. Und ähnlich wie bei einem Lernentwicklungsgespräch dann schon auf einer ganz anderen Gesprächsebene als zu Beginn des Themas: mit viel mehr Achtsamkeit.
Was jeder einzelne aus diesem Bewusstsein macht, das kann ich (und die Eltern) nur durch eine vorbildhafte Wirkung und einer Definition von richtig und falsch (also die Werte) schaffen. Nicht durch Schimpfen oder Sanktionieren. Dafür ist die Schule nicht der richtige Ort und der Lehrer nicht die richtige Person.
Was die Kinder am Ende mit diesem Wissen anstellen, was die Pubertät damit macht, das steht dann jahrelang erstmal auf einem anderen Blatt. Aber die Fähigkeit dazu sollte auf jeden Fall frühzeitig grundgelegt werden.
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