Während der letzten Einträge habe ich schon das eine oder andere Mal einen “Flipped Classroom” erwähnt und nur in Ansätzen angerissen. Heute möchte ich dir ein wenig genauer erklären, was das ist. Und vor allem: Warum das für dich lohnenswert sein soll.
In Beitrag #14 habe am Beispiel “Parallelen und Senkrechte” die Erstellung eines Erklärvideos nachvollziehbar gemacht. Und vielleicht denkst du, dass ich meinen Schülern dieses Video als Hausaufgabe zur Rekapitulation aufgegeben habe oder es mit Ihnen gemeinsam im Unterricht angeschaut habe.
Das hätte zwar beides zum richtigen Zeitpunkt seine Berechtigung, aber im Sinne eines Flipped Classrooms ist es genau “umgedreht”: Die Schüler haben von mir das Anschauen des Videos als Hausaufgabe bekommen, um sich auf die Mathe-Stunde am nächsten Tag vorzubereiten!
Dadurch, dass das Video in aller Kürze aufzeigt, wie man selber Parallelen und Senkrechten zeichnet, hatten meine Schüler die Möglichkeit, sich in ihrer jeweils eigenen Geschwindigkeit und so oft sie wollten, das Video anzusehen, und somit je nach individueller Voraussetzung dieses Handwerk zu erlernen.
Flipped Classroom meint überspitzt ausgedrückt: Zuhause lernen, in der Schule üben und weiterarbeiten.
Am nächsten Tag kamen die Kinder in den Unterricht und diesmal habe ich nicht – wie sonst – allen gemeinsam genau erklärt, wie dieses Konstruieren funktioniert… Ich habe sie vielmehr gebeten, auf ein blankes Papier Parallelen und Senkrechten zu zeichnen. Während dieser Übungsphase konnte ich jedem Schüler über die Schultern schauen und individuell unterstützen, falls das Zeichnen noch nicht so gut geklappt hat.
Diesen Ansatz des Flipped Classrooms kannst du auch in vielen anderen Bereichen nutzen. Dein Vorteil besteht vor allem darin, dass du im Klassenzimmer keinen Einstieg benötigst, sondern gleich qualitativ und inhaltlich an einem Thema mit den Kindern arbeiten kannst.
Das Vorwissen wurde quasi bereits in der Vorbereitung auf den Unterricht aktiviert und darüber hinaus noch mit weiterem Wissen oder Fähigkeiten ausgebaut. So entstehen zum Beispiel viel gewinnbringendere Unterrichtsgespräche in kürzerer Zeit.
Abgesehen von der Erstellung des Contents. Eine Homepage im Internet. Um es dir leichter zu machen, möchte ich in Zukunft auch hier auf dieser Seite einen Flipped-Classroom-Bereich aufbauen, den du gerne nutzen kannst. Wenn du aber Unterstützung möchtest, wie du selber einen solchen Bereich aufbauen kannst, dann schreibe mir doch einfach eine kurze Nachricht: Ich helfe dir gerne individuell weiter.
Folgender Link zum Flipped-Classroom-Bereich meiner aktuellen Schule zeigt dir schon mal eine Visualisierung dessen, was ich in diesem Artikel meine. Der Bereich ist keinesfalls perfekt, aber du kannst erkennen, was mit diesem Prinzip gemeint ist: Videos, die unterstützen und vorbereiten. Aber auch Wissen und Regeln in Worte gefasst, so dass sie für Kinder und Eltern jederzeit nachschlagbar werden.
Und auch für dich nachschlagbar werden! Ich krame zum Beispiel nicht jedes oder jedes zweite Jahr mehr aus meinen Unterlagen den Hefteintrag heraus, den ich passend zu einem Thema meistens mache… Ich verweise meine Schüler vielmehr auf den Flipped-Classroom-Bereich und habe so noch den zusätzlichen Nebeneffekt, dass meine Schüler das Internet als Recherchequelle antizipieren.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Flipped Classroom ist kein Wundermittel, mit dem ich alleine oder ausschließlich arbeiten würde. Aber er ist die ideale Ergänzung zu einem Unterricht, in dem die Kinder zu einem selbsttätigen und sinnvollen Umgang mit Medien und den Herausforderungen der heutigen digitalen Zeit anregen möchte. Der Flipped Classroom ist eine gute Basis, flexibel einsetzbar zur Vorbereitung, Nachbereitung oder Begleitung und erleichtert dir zudem die stoffliche Diskussion mit den Eltern. Durch die Kollaboration des verfügbaren Wissens können wir alle zusammen alles! Natürlich werden sich manche über die Unterschiede zu früher beschweren, aber genau hierin stecken doch all die Vorteile, die es zu nutzen gilt.
Mit einem Flipped Classroom wird der Unterricht neu rhythmisiert, aber dabei sollte immer wieder von neuem überlegt werden, an welcher Stelle ein Lehrerinput benötigt wird, den man durch ein Video breiter nutzbar machen kann.
Die Wissenschaft meint dazu auch, dass so eine didaktisch sinnvolle Verknüpfung von traditionellen Präsenzveranstaltungen und modernen Formen des E-Learning angestrebt werden. Die Effektivität und Flexibilität von elektronischen Lernformen wird kombiniert mit den unbestreitbaren Vorteilen der persönlichen Schüler-Lehrer-Bindung. Ein Flipped-Classroom-Bereich kann da die perfekte Plattform für selbstbestimmtes motiviertes Lernen sein.
Wenn du mal einen Blick in einen professionelleren Flipped-Classroom-Bereich werfen möchtest, dann schau dir doch die Khan Academy an. Oder die deutsche Variante in der App The Simple Club. Das ist wie eine neue Version der Schülerhilfe, nur viel effektiver. Und kombiniert mit dir als Lehrer und Bezugsperson für deine Schüler eine sinnvolle Sache.
So entsteht ein Lernen im Flow: Keine Frustration, keine Unterforderung, sondern Tutorials, mit denen man sich auf all die unterschiedlichen Lerncharaktere einer Klasse einstellen kann. Optimale Passung, Fokussierung, Motivation, Selbstbestimmung, Sinn und Selbstwirksamkeit sind da nur ein paar der Schlagwörter, die mir in diesem Kontext einfallen.
Um jedoch zu verhindern, dass Lernende den vorgelagerten Inhalt ziellos konsumieren, sollten begleitende Aufgaben bereitgestellt werden. Dies können im einfachsten Fall auch bestimmte Aspekte oder Leitfragen sein, denen beim Bearbeiten des Stoffs besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Am anderen Ende des Spektrums kann das entdeckende Lernen stehen, bei dem auf Grundlage des Stoffs eine eigenständige Aufgabenlösung erarbeitet werden muss und die Schüler sich dem Video eben so wie im Beispiel mit den Parallelen und Senkrechten individuell auf den Unterricht vorbereiten. Was für eine Chance!
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